Was heisst «Lantig», oder was hat
ein Landjäger mit dem Lantig gemeinsam?
Literaturrecherchen von Eduard Spielmann* zum Wort „Heuschlugge“
Originalartikel im 1985 der Rodersdorfer Nachrichten
Manch einer wird sich schon gefragt haben, woher der kuriose Name ‚Heuschlugge’ komme.
Wie so mancher Flurname lässt er sich mit dem heutigen Sprachschatz nicht erklären.
Solche und ähnliche Bezeichnungen bewahren vielfach längst aus dem Sprachgebrauch
verschwundenes Wortgut. Der Volksmund sucht dann oft nach einem ähnlichen Begriff und
funktioniert den ursprünglichen Sinn um, wenn auch manchmal ins Sinnlose.
Ein Beispiel? Unsere „Landjäger“ genannten Trockenwürste hiessen ursprünglich „lantige
Würste“, wobei das Wort „lantig“ soviel bedeutet wie „trocken“. Als „lantig“ nicht mehr
verstanden wurde, machte der Volksmund aus der lantigen Wurst kurzerhand eine
Landjägerwurst. Die Welschen, an der Deutschschweizer Spezialität Gefallen findend,
übersetzten folgerichtig mit „Gendarm“. Unter dieser Bezeichnung sind unsere guten alten
lantigen Würste mittlerweile sogar an den Frites-Buden von Paris zu haben.
Zurück zur Heuschlugge. Wenn man an die Landjäger denkt, liegt der Verdacht nahe, dass
„Schlugge“ nicht irgendeine Form von Schlucke sein dürfte. Aber was dann? Das historische
Wörterbuch der elsässischen Mundart hilft uns weiter. Unter dem Stichwort Schlucke steht:
„Enger Durchgang“, „sie suchten einen Schlucken an dem Zaun, dass sie da durch
schlieffen...“ schrieb Geiler von Kaiserberg im 16. Jahrhundert. Mehr noch, das Wort
Heuschlucke wird als häufiger Flurname im Elsass speziell angeführt und darauf
hingewiesen, dass er an über zwanzig Orten zu finden sei.
Damit wissen wir, dass „Heuschlugge“ gleichbedeutend ist mit Heulücke, aber immer noch
nicht, was diese Heulücke bedeuten soll. Wir kommen dem Sinn auf den Sprung, wenn wir
uns in die Entstehungszeit des Flurnamens zurück versetzen. Die Bezeichnung ist nämlich
sehr alt und vielfach schon im 13. Jahrhundert bezeugt. Damals waren die Dörfer alle mit
einem Zaun oder einer Hecke umgeben, dem sogenannten Etter. Der Ackerbau war die
Haupternährungsgrundlage. Nur die zum Ackerbau ungeeigneten Flächen wurden als
Weiden oder Heuwiesen genutzt. Heu brauchte man in erster Linie als Winterfutter für die
Zugtiere. Milchwirtschaft wurde in unseren Gegenden nur für den Eigenbedarf betrieben.
Rodersdorf verfügte in den Birsigniederungen über ausgedehnte Grünfutterflächen. Zum
Einbringen des Heus war man bei den damaligen schlechten Wegverhältnissen auf die
kürzesten Strecken angewiesen. So macht man auf der den Heuwiesen zugewandten Seite
des Dorfetters kurzerhand eine Lücke oder nach dem damaligen Sprachgebrauch einen
„Schlucken“ und die „Heuschlugge“ war geboren.
Im Schweizerdeutschen Sprachatlas findet sich für den äussersten Nordwesten der Schweiz
ein weiterer Beleg für „Schlugge“: In Kleinlützel, Blauen, Hofstetten und Rodersdorf ist der
Ausdruck „Zahnschlugge“ für Zahnlücke belegt. Den alten Rodersdorfern dürfte er noch
geläufig sein. Der vor Jahrhunderten erfolgte Übergang zur Schweiz hat die Zeugen der
ursprünglichen Zugehörigkeit zum elsässischen Sprachraum noch nicht ganz auszulöschen
vermocht. In Zukunft allerdings dürfte sich dies ändern. Das heutige Ausmass der
Binnenwanderung bringt kleinräumige Spracheigenheiten zum Verschwinden und im Elsass
droht die fortschreitende Romanisierung eine ganze Kultur sprachlich zu entwurzeln. Um so
wichtiger ist es, dass Zeugen früherer Sprach- und Lebensverhältnisse in eine sprachlich
eintönige Zukunft hinüber gerettet werden. Eben zum Beispiel die Heuschlugge.
* Eduard Spielmann ist ehemaliger Gemeindepräsident von Rodersdorf und seines Zeichens auch
weitum ein bekannter Kulturhistoriker unserer Dreilandregion.